Tacoma-Narrows Brücke
Der Einsturz der Tacoma-Narrows Brücke ist sicherlich eine der spektakulärsten und, gemessen an den damals vorhandenen Möglichkeiten, eine der am besten dokumentierten Katastrophen der Ingenieursgeschichte. Selbst heute, annährend acht Jahrzehnte nach dem Kollaps der Brücke, werden die atemberaubenden Bilder gerne verwendet. Obwohl seit vielen Jahrzehnten die physikalischen Phänomene, die zum Einsturz führten, bekannt und erläutert sind, hält sich die Tacoma-Narrows Brücke hartnäckig als Beispiel für eine Resonanzkatastrophe. Dies ist falsch, zumindest was den letztendlichen Grund für den Einsturz betrifft. Dieser hat genau genommen zwei Gründe, einen technischen und einen menschlichen, aber dazu später mehr. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein vergleichbares Ereignis auch heute passieren könnte.
Kurz zum Hintergrund. Die Tacoma-Narrows Brücke hatte zur Zeit ihrer Planung und Erbauung, in den Jahren 38-40 des letzten Jahrhunderts, die drittlängste Spannweite aller Hängebrücken weltweit. Gleichzeitig war sie aber die mit Abstand schlankste Brückenkonstruktion. Bereits vier Monate nach der Inbetriebnahme stürzte die Brücke ein. Was waren die Gründe dafür?
Warum war es keine Resonanzkatastrophe?
Gemäss Definition müssen für das Eintreten einer Resonanzkatastrophe zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss das schwingungsfähige System in der Nähe seiner Eigenfrequenzen durch eine periodische Kraft angeregt werden und zum anderen muss die durch die Anregung aufgenommene Energie grösser sein als die Energie, die durch Dämpfung dem System wieder entzogen wird. Ist beides erfüllt, führt dies zur kontinuierlichen Zunahme der Amplitude, bis schlussendlich das System kollabiert.
Bei der Tacoma-Narrows Brücke war nur die erste der beiden Bedingungen erfüllt. Zwar konnte bereits bei geringen Windgeschwindigkeiten quer zur Fahrbahn durch die sich einstellenden Druckverhältnisse zwischen Ober- und Unterseite der Fahrbahn und durch die periodische Wirbelablösung der Kármánschen-Wirbelstrasse die Brücke in eine Biegeschwingung quer zur Längsachse der Brücke versetzen, aber durch die Auf- und Abwärtsbewegung der Fahrbahn veränderten sich auch die Strömungsbedingungen. Einerseits beeinflusste sie die Wirbelbildung selbst, andererseits bewirkte sie einen vertikalen Strömungswiderstand entgegen der Bewegungsrichtung. Die daraus resultierten Kräfte wirkten so entgegen der ursprünglichen Anregung. Das schwingende System hat sich dadurch selbst stabilisiert.
Wirbelintensität bei Queranströmung und einem Neigungswinkel von 0°
(rot=linksdrehend; blau=rechtsdrehend)
Druckverhälnisse bei Queranströmung und einem Neigungswinkel von 0°
(rot=Überdruck; blau=Unterdruck)
Die grundsätzliche Schwingungsneigung der Brücke führte bei der Bevölkerung zum Beinamen "galloping gertie", deren Bewegung tatsächlich durch eine harmonische Anregung nahe der Biegeeigenfrequenz ausgelöst wurde. Die aber aus genannten Gründen nicht in eine unkontrollierte Form überging. Bei der Windgeschwindigkeit von 42mph (18.8m/s) am Unglückstag war zudem die Frequenz der natürlichen Wirbelablösung schon deutlich höher als die Eigenfrequenz der Brücke. Eine periodische Erregerkraft und damit die Basis für eine Resonanzkatastrophe kann daher ausgeschlossen werden.
Keine Resonanzkatastrophe, was dann?
Die Zusammenhänge waren deutlich komplexer. Anstatt, dass eine äussere, in ihrer Grösse nur von der Zeit abhängige Kraft die Brücke zu ihrer Torsionsschwingung anregte, kam es zu einer aerodynamisch bedingten Selbsterregung. Die Strömung verursachte zunächst eine Auslenkung der Fahrbahn, womit sich auch der Anströmungswinkel und damit einhergehend das gesamte Strömungsprofil veränderte. Herrschte in der neutralen Nulllage, Neigungswinkel 0°, im zeitlichen Mittel auf der Oberseite der Fahrbahn ein grösserer Unterdruck als auf der Unterseite, so kehrten sich bei einer Auslenkung im Gegenuhrzeigersinn die Verhältnisse um.
Wirbelintensität bei Queranströmung und einem Neigungswinkel von +5°
(rot=linksdrehend; blau=rechtsdrehend)
Druckverhälnisse bei Queranströmung und einem Neigungswinkel von +5°
(rot=Überdruck; blau=Unterdruck)
In diesem Fall ergab sich auf der Fahrbahnunterseite ein Unterdruck, der deutlich stärker als auf der Oberseite ausgeprägt war. Je grösser die Neigung der Fahrbahn, desto grösser wurde auch dieser Effekt. Gleiches gilt für den Strömungswiderstand. Auch dieser nahm mit zunehmender Schwingungsamplitude zu. Die resultierende Kraft aus Strömungswiderstand und Auftrieb, die auf die Brücke wirkte, zeigte in Strömungsrichtung und nach unten.
Beim Zurückschwingen ergab sich ein ähnliches Bild. Umso grösser der Neigungswinkel des Fahrbahnträgers bei einer Auslenkung im Uhrzeigersinn wurde, umso stärker wurden der Strömungswiderstand und die Auftriebskraft. Die Resultierende wirkte in diesem Fall in Strömungsrichtung und nach oben.
Wirbelintensität bei Queranströmung und einem Neigungswinkel von -5°
(rot=linksdrehend; blau=rechtsdrehend)
Druckverhälnisse bei Queranströmung und einem Neigungswinkel von -5°
(rot=Überdruck; blau=Unterdruck)
Einzig eine abnehmende Windstärke hätte zu diesem Zeitpunkt die Katastrophe noch verhindern können. Da dies nicht geschah, ist passiert, was zwangsläufig passieren musste. Der Sturz der Fahrbahn der Tacoma-Narrows Brücke beginnt am 7 November 1940 um 11:02 Uhr und endet ein paar Minuten später mit den letzten sich lösenden Brückenteilen.
Was bedeutet dies für die Simulation?
Die beiden zuvor diskutierten Ursachen für die Schwingungsanregung werden mit zwei komplett unterschiedlichen Simulationsmethoden nachgebildet. Im ersten Fall, der Anregung durch die Wirbelablösung der Kármánschen-Wirbelstrasse, würde man die Aufgabenstellung mit einer Frequenzganganalyse beschreiben können. Dies ist verhältnismässig einfach. Da man aber mit der Frequenzganganalyse nur nach möglichen Resonanzfällen sucht, würde genau das Gleiche passieren, als vor 80 Jahren, als man nur statische Lastfälle betrachtete. Weil die Methode die Falsche wäre, würde die wahre Gefahr nicht richtig erkannt werden! Lediglich die "galloping gertie" käme zum Vorschein. Vielleicht würde man deshalb Änderungen anbringen, die vielleicht auch den eigentlichen Grund für die Katastrophe verhindern würden, unbewusst sozusagen. Das wäre aber nichts anderes als pures Glück!
Im zweiten Fall der ist der numerische Aufwand deutlich grösser. Das Problem müsste zur vollständigen Beschreibung in einer gekoppelten, transienten Fluid-Struktur-Simulation behandelt werden. Praktisch ist das bei der Brückenlänge von 1.5km Länge kein gangbarer Weg. Die Modellgrösse und der numerische Aufwand wären viel zu gross. Deshalb braucht es einen anderen Ansatz.
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Unabhängig von den numerischen Herausforderungen für diesen speziellen Fall braucht es Experten, welche die technische Situation von Anfang an richtig einzuschätzen und die passenden Methoden auswählen. Zudem muss genügend Zeit zur Verfügung stehen, um den Dingen auf den Grund gehen zu können. Insbesondere wenn die Grenzen des bekannten verlassen werden! In diesem Fall war dies die extreme Schlankheit der Brücke.
Katastrophen sind mehr als nüchterne Physik!
Wie eingangs schön erwähnt sind die technischen Aspekte dieser Katastrophe mehr als detailliert untersucht. Auch viel gründlicher und tiefgehender, als wir hier das durchgeführt haben. Warum aber wurde die Tacoma-Narrows Brücke so schlank gebaut? Warum hat man sie derart filigran konstruiert? Auch hier können wir aus der Ferne nicht so gründlich hinterfragen wie das andere vielleicht schon gemacht haben. Aber wir können ein paar grundsätzliche Fragen stellen. War es der Drang nach einem neuen Superlativ, also der Wunsch es sich und anderen zu beweisen? Waren es wirtschaftliche Erwägungen, also der Kampf um den Auftrag über den Preis? Oder war es einfach der Termindruck, der den Verantwortlichen nicht die Zeit lies, über die geltenden Normen hinaus die Konstruktion zu prüfen? Wäre es nicht geboten gewesen genau dies zu tun, nachdem die Bauarbeiter bereits vor der Fertigstellung der Brücke erste Anzeichen für deren Schwingungsneigung beobachteten und auch den Verantwortlichen meldeten?
Der wahre Grund für die Katastrophe findet sich unserer Meinung nach in irgendeiner Mischung aus diesen bzw. ähnlichen Fragestellungen, nennen wir es die „menschlichen Faktoren“. Während die technischen Erkenntnisse neue und bessere Normen und Bemessungsstandards nach sich gezogen haben, man also aus den Fehlern gelernt hat, sind die „menschlichen Faktoren“ heute noch immer präsent. Der Mensch hat sich in seinem Wesen nicht geändert, auch nicht die äusseren Umstände. Demzufolge kann eine vergleichbare Katastrophe jederzeit wieder passieren. Es muss dabei auch keine Brücke sein, die einstürzt, sondern irgendein „einfaches“ Bauteil. Eines das niemand sieht, Ihnen und Ihrer Firma aber viele Ärger und Kosten bereit, wenn es schief geht.
Damit dem nicht so ist, müssen die richtigen Erkenntnisse aus dem Geschehenen gezogen werden. Neben den Rahmenbedingungen und den „menschlichen“ Faktoren spielt insbesondere die Konzept- und Planungsphase eine entscheidende Rolle. Um Fehler zu minimieren und Kosten zu senken ist es notwendig, gerade in diesen Projektphasen besonders gründlich vorzugehen. Hier liegt (fast) die ganze Verantwortung. Aus unserer Sicht ist ein ganz wesentlicher Aspekt hierbei die frühzeitige Einbindung der Simulationsexperten in den Entwicklungsprozess.
Es ist für alle Beteiligten besser im Vorfeld zu verstehen was passieren könnte,
als im Nachhinein festzustellen was passiert ist!